Lasst Mark ein Kleid tragen! – Diversität analog und digital.
Mark (4) ist ‚normal’. Er darf kein Kleid tragen.
Paul (4) hingegen trägt ein Kleid in der Kita. Und Giulia (6) schießt die meisten Tore beim Fußball. Tarek (5) und Tim (5) sind ineinander verliebt. Luna (6) ist dick und Klassenschwarm. Yassins (6) Lieblingsfilm ist ‚Die Eiskönigin‘. Gülcan (4) träumt davon, Astronautin zu werden. Und Mohammeds (4) Rollstuhl ist pink.
Warum schreiben wir bei DigiKids über Diversität?
Weil zu wenig Kinder so sein dürfen wie Paul, Giulia, Tarek, Tim, Luna, Yassin, Gülcan und Mohammed. Weil zu viele Erwachsene die „Mark-Strategie“ wählen.
Weil wir möchten, dass sich Kinder frei und gesund entwickeln können. Im analogen und im digitalen Raum.
Egal ob wir mit Kindern arbeiten, eigene Kinder haben oder einfach Bezugspersonen sind – unser Handeln und unsere Sprache beeinflussen die Kinder. Und auch wenn wir es nicht böse meinen, sind wir oft gar nicht so frei und offen, wie wir denken. Auch in (digitale) Medien ist Diversität häufig nicht mitgedacht.
Und deswegen ist es wichtig darüber zu reden und zu schreiben. Und als neues Mitglied im DigiKids-Team, freue ich mich sehr, mich mit diesem Impuls im Blog miteinbringen zu können.
Typisch Jungs, typisch Mädchen, typisch drittes Geschlecht? – Der Einteilungswahn der Erwachsenen
Kindern wird immer noch zu oft gesagt, dass sie sich der Geschlechter-Norm entsprechend verhalten und kleiden sollen. Spielsachen, Berufe, Emotionen, Körper, Geräte – nahezu alles wird eingeteilt in männlich oder weiblich – in rosa und hellblau. Wenn Jungs weinen, sind sie „Mädchen“. Damit dürfen Jungs nicht nur ihre Verletzlichkeit nicht zeigen, sondern das Geschlecht „Mädchen“ wird hier auch noch als Beleidigung abgewertet. Mädchen sollen lieber tanzen als Fußball spielen. Schließlich sollen Jungen stark und Mädchen süß und hübsch sein.
Dieser Einteilungs-Wahn ist Wahnsinn. Es scheint gerade so, als hätte man Sorge, dass Mädchen anfangen zu rülpsen, wenn sie in Batman-Bettwäsche schlafen. Oder Jungs anfangen, emotional zu werden, wenn sie sich als Elsa verkleiden. Und selbst wenn, was wäre denn dann?
Egal – bitte einfach normal bleiben! Sonst kommen die Erwachsenen noch durcheinander…
Oder sind wir Erwachsenen einfach nicht mutig genug, um unsere Kinder sich außerhalb der ‚Norm‘ entwickeln zu lassen?
Achso und typisch: ein Drittes Geschlecht existiert erst gar nicht in dieser Welt.
Verhalten sich Kinder außerhalb der gesellschaftlichen Norm, wird ihnen das Gefühl gegeben, nicht richtig zu sein – abnormal, komisch, sonderbar – falsch halt.
Einseitige analoge und digitale (Vor)Bilder prägen Kinder
Aber nicht nur durch Familie, Erzieher*innen oder Bezugspersonen bekommen Kinder ihre Geschlechterrolle beigebracht, auch in (digitalen) Medien spiegeln und verfestigen sich diese wie z.B, in Kinderbüchern, auf Social Media oder im Kinderfernsehen.
Kinderbücher: Jungs erleben Abenteuer, Mädchen erleben Alltag
Schauen wir uns doch die Kinderbücher mal genauer an. Sind die erzählten Geschichten wirklich so einseitig? Ja – das zeigen zahlreiche wissenschaftliche Studien.
Hier möchten wir aber vor allem auf die Untersuchung der Süddeutschen Zeitung von 2019 eingehen. Denn diese hat den Katalog der größten Fachbibliothek für Kinderliteratur untersucht, die es im deutschsprachigen Raum gibt. Dabei wurden vor allem die Schlagworte zu den Büchern und den Adressat*innen systematisch analysiert.
Das Ergebnis ist so eindeutig wie traurig: Schlagworte wie „Abenteuer“ und „Abenteuererzählung“ wurden mehr als doppelt so häufig mit dem Schlagwort „männlicher Protagonist“ (z.B. Die drei ???, Käptn Sharky) verbunden, wie mit dem Schlagwort „weiblicher Protagonist“. Für Mädchen waren die Schlagworte häufig „Tiere“, „Familie“, „Schule“ – Alltag also (z.B. Conni). Und wenn Sie Abenteuer erleben dann bspw. auf einem Reiterhof und viel weniger wild und gefährlich.
Die Süddeutsche Zeitung fasst das so zusammen:
„[…] gleichberechtigt sind Jungen und Mädchen in den Kinderbüchern allzu oft nicht. Und das ist ein Problem, denn Kinderbücher bilden, prägen, sozialisieren, erziehen mit. Und sie können die Welt verändern, zumindest die zwischen Kuscheltieren und Murmelbahn. Oder könnten.“
Die geschlechterspezifische Vermarktung von Produkten – kurz Gendermarketing – boomt. Du hast da keine Lust drauf? Suchst du ein Kinderbuch mit diverseren (Vor)Bildern? Dann schau mal hier beim „Gender-Check für gute Bücher“ der SZ , bei pinkstinks, eine Bildungsorganisation gegen enge Geschlechterrollen, oder bei buuu.ch, ein Gemeinschaftsblogprojekt zu diversen Kinderbüchern, rein. Auch bei unserem Kinderbuch von DigiKids haben wir wert auf Diversität gelegt.
Kennst du noch mehr? Lass es uns gerne wissen.
Social Media und Kinderfernsehen: nicht gleichberechtigt und stark stereotypisiert
Wie divers sieht es im digitalen Bereich aus? Finden Kinder hier andere, vielfältigere Vorbilder?
Die MaLisaStiftung untersuchte 2017 mit ihrer Studie „Audiovisuelle Diversität? Geschlechterdarstellung im Film und Fernsehen in Deutschland“ 3.500 Stunden Fernsehprogramm aus dem Jahr 2016, sowie 800 deutschsprachige Kinofilme. Damit ist das die bislang umfassendste Studie zu diesem Thema. Das Ergebnis ist ernüchternd.
Besonders im Kinderfernsehen sind Mädchen und Frauen deutlich unterrepräsentiert.
Nur eine von vier Hauptfiguren ist weiblich. In Fantasiewelten ist die Diskrepanz am stärksten: Auf neun männliche Tierfiguren kommt nur eine weibliche.
Eine weitere Untersuchung der Stiftung von 2019 zeigt ein ähnliches Problem im Bereich Social Media. Frauen und Inter*Trans Menschen sind auf Youtube deutlich unterrepräsentiert. Außerdem werden vor allem Stereotype stark reproduziert: weibliche Youtuberinnen bespielen vor allem Kanäle zum Thema Schminktipps, Basteln, Nähen, Kochen etc., wohingegen männliche Youtuber eher mit Themen wie Games, Comedy, Politik und Musik zu finden sind.
Es hat sich außerdem gezeigt, dass Mädchen das Aussehen und die Gestik von Influencerinnen nachahmen und dass Mädchen, die Influencerinnen folgen, mehr Wert auf Schlanksein legen. Schaut man sich die erfolgreichsten Youtube-Kidfluencerinnen in Deutschland – wie „Mileys Welt“ oder „Spielzeugtester“ – an, scheint der Nachahmungseffekt der Mädchen direkt erkennbar zu sein.
Also auch hier gilt: Bitte keine Geschlechter durcheinanderbringen– alles hat seine Ordnung. Und somit sind diverse (Vor)Bilder auch bei Social Media und im Kinderfernsehen kaum vorhanden.
In beiden Studien wurde das dritte Geschlecht nicht mituntersucht (außer bei der Präsenz auf Youtube).
Vielfalt zulassen und sichtbar machen
Vielleicht können wir jetzt kein Kinderbuch schreiben oder ein Youtubekanal starten, um uns für mehr Diversität einzusetzen (oder doch?), aber wir können bei uns selbst anfangen.
Zum Beispiel ist es wichtig, dass wir genau hinhören, was wir sagen. Denn in ganz vielen Floskeln/Sprüchen und spontanen Reaktionen von uns sind Rollenklischees und Diskriminierungsformen tief verankert („Jungs sind halt nun mal wilder“, „Das ist Männersache“, „Du wirfst wie ein Mädchen“, „Puppen sind was für Mädchen“). Wir greifen ganz einfach auf Vorhandenes zurück, da es entweder bequemer ist oder nicht kritisch hinterfragt wurde. Und genau deswegen müssen wir anfangen, kreativer zu werden – neu zu denken.
Anstatt „Jungs gegen Mädchen“ antreten zu lassen, könnte man zum Beispiel Gruppen nach Interessen oder Vorlieben einteilen.
Anstatt ein unbekanntes Kind auf dem Spielplatz direkt einem Geschlecht zuordnen zu wollen, einfach mal aushalten, dass man nicht das Geschlecht kennen muss, um mit seinem Gegenüber zu kommunizieren. Anstatt Sätze mit „typisch Jungs/Mädchen“ anzufangen, es einfach sein lassen. Anstatt ein Mädchen zu fragen, welchen Jungen sie süß findet, (wenn überhaupt) lieber fragen welches Kind – es gibt mehr Optionen als Heterosexualität und diese Optionen sollten unsere Kinder kennen. Und sich gut damit fühlen dürfen!
Um Diversität zu fördern, ist eine eigene selbstbewusste Haltung hilfreich. Manchmal auch Mut, um sich gegen die Mehrheit zu stellen. Um Sachen neu, anders oder ungewöhnlich zu gestalten, zu benennen oder vorzuleben.
Mehr zu Geschlechtertrennung in der Kita und allgemein bei Kindern findet ihr bei der Rosa-Hellblau-Falle, die sich intensiv mit Rollenklischees in der Familie beschäftigt und damit, wie man sie überwinden kann.
Fazit: Wir Erwachsenen müssen mutiger und sensibler sein. Dann kann Mark auch sein Kleid tragen.
Geschlechterstereotype und mangelnde Diversität sind immer noch ein großes Problem in unserer Gesellschaft. Und damit auch in der Welt unseres Kindes.
Aber wir können das Umfeld der Kinder aktiv mitgestalten. Wenn wir einen sensiblen Blick dafür entwickeln, wie divers bzw. einseitig unser Umfeld, unsere Sprache, unsere (Vor)Bilder etc. sind, ist schon viel gewonnen.
Wenn wir als Erwachsene unsere Kinder in ihrer freien, individuellen Entwicklung (mehr) stärken und ihnen zeigen: „Du bist genau richtig, so wie du bist!“ und bei Diskriminierung durch Andere Haltung zeigen, Grenzen aufzeigen, drüber sprechen und Betroffenen Schutz bieten – dann kann Mark auch sein Kleid tragen.